Präventionsmaßnahmen gegen Extremismus oder pauschale Stigmatisierung? Ein kritischer Blick auf Bayerns „Aufklärungsvideo“ und die staatliche Islampolitik
Staatliche Präventionsmaßnahmen, die extremistische Strömungen verhindern sollen, sind heute ein fester Bestandteil der Sicherheitspolitik in Deutschland. Doch die Frage bleibt: Sind sie tatsächlich effektiv? Ein aktuelles Beispiel zeigt das bayerische Innenministerium, das mit einem vermeintlichen „Aufklärungsvideo“ über Radikalisierung Muslime in stereotype Rollen drängt und das Verständnis für ihre alltägliche Religionsausübung verzerrt. Solche Maßnahmen – die Muslime und ihre religiösen Symbole pauschal unter Verdacht stellen – sind jedoch keine neue Erscheinung: Seit Jahren beobachtet die muslimische Community einen wiederkehrenden Kreislauf, in dem sie als „anders“ und „potenziell gefährlich“ dargestellt werden. Dieser ständige Generalverdacht verstärkt das Gefühl, dass muslimische Gemeinschaften nicht wirklich akzeptiert sind und untergräbt das Vertrauen in staatliche Institutionen.
Religionspraxis unter Verdacht: Ein neuer Kreislauf der Stigmatisierung
Die Tendenz, muslimische Praktiken wie das Gebet, das Kopftuch oder den Bart als radikale Zeichen darzustellen, zeigt sich seit Jahren in der deutschen Gesellschaft und Politik. Ein prominentes Beispiel ist die heutige Grünen-Politikerin und vermeintliche Islamexpertin Lamya Kaddor, die bereits im Jahr 2014 erklärte, dass es ein „Alarmsignal“ sei, wenn junge Muslime plötzlich fünfmal täglich beten und nicht mehr in die Disko gehen. Diese Aussage stieß damals verständlicherweise auf massive Kritik, da das Gebet eine der fünf Säulen des Islam darstellt und daher zu den fundamentalen Grundelementen des muslimischen Glaubens gehört. Es als Indiz für Radikalisierung darzustellen, offenbart eine problematische Sichtweise, die tiefergehende religiöse Praktiken pauschal als „verdächtig“ einstuft.
Kaddor vertrat damals wie heute Positionen, die mit den Ansichten der überwältigenden Mehrheit der Muslime nicht übereinstimmen. Ihre Ansichten und ihr „liberales“ Islamverständnis – das keine wirkliche theologische Grundlage hat und von rund 99,99 % der Muslime nicht geteilt wird – werden von vielen Muslimen als befremdlich und theologisch unbegründet wahrgenommen. Trotzdem wird sie regelmäßig von staatlicher Seite zu islambezogenen Veranstaltungen eingeladen, wie zur Deutschen Islamkonferenz, wo sie als gleichberechtigte Vertreterin der Muslime neben Repräsentanten der großen islamischen Verbände sitzt. Für viele Muslime in Deutschland ist dies ein Schlag ins Gesicht, da es ihnen das Gefühl vermittelt, dass ihre Identität und ihre religiöse Überzeugung nur dann akzeptiert wird, wenn sie den Vorstellungen des Staates entsprechen. Solche Aktionen senden das Signal, dass der Staat die muslimische Community so, wie sie ist, nicht wirklich willkommen heißt, sondern sie lieber umgestalten möchte – hin zu einem „angepassten“ Islamverständnis, das mit den religiösen Ansichten und Praktiken der Mehrheit nicht übereinstimmt.
Bayerns „Aufklärungsvideo“: Altbekannte Klischees in neuer Verpackung
Diese Tendenz zur problematischen Darstellung muslimischer Praktiken setzt sich in neuen staatlichen Maßnahmen fort. Im Video des bayerischen Innenministeriums, das vermeintlich präventiv wirken sollte, werden Symbole wie das Kopftuch, Gebetsmützen und Bartwuchs erneut als visuelle „Warnzeichen“ für radikale Gesinnungen präsentiert. Dabei wird nicht nur ein stereotypes Bild des Islam gezeichnet, sondern völlig außer Acht gelassen, dass diese Art der Kleidung auch in Deutschland unter Imamen gängige Praxis ist und hier nun als Merkmal für Extremismus gezeigt wird. Diese Darstellung ist besonders problematisch, da sie die öffentliche Wahrnehmung des Islam negativ beeinflusst und Muslimen signalisiert, dass ihre religiöse Identität als verdächtig und unwillkommen gilt. Statt einer sachlichen Prävention, die Verständnis fördern könnte, entsteht so ein verzerrtes Bild, das dem eigentlichen Ziel einer inklusiven Gesellschaft entgegenwirkt.
Ein Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte aus dem Jahr 2023 betont, dass muslimische Gemeinschaften durch solche Maßnahmen einem ständigen Anpassungsdruck ausgesetzt werden, der suggeriert, ihre Religion und Kultur entspreche nicht der „Norm“ und sei problematisch. Diese Art der Generalverdächtigung ist kontraproduktiv: Anstatt muslimische Jugendliche in den Dialog mit dem Staat und der Gesellschaft einzubinden, wird eine Kultur des Misstrauens gefördert. Viele Wissenschaftler und Theologen unterstreicht ebenfalls, dass solche Maßnahmen oft durch eine oberflächliche Herangehensweise gekennzeichnet sind, die religiöse Praktiken und Symbole nicht differenziert betrachtet und somit das Vertrauen muslimischer Gemeinschaften in staatliche Institutionen untergräbt.
Statt Prävention – das Misstrauen wächst
Ein gravierendes Problem dieser Art von „Präventionsarbeit“ ist, dass sie keine echte Sicherheit schafft, sondern Misstrauen verstärkt. Muslime erfahren durch solche Kampagnen, dass ihre Religion grundsätzlich skeptisch betrachtet wird und dass alltägliche religiöse Praktiken als „Anzeichen“ für radikale Strömungen gelten. Solche Maßnahmen fördern das Gefühl, dass Muslimen die Zugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft abgesprochen wird. Die bereits erwähnte Studie des Deutschen Instituts für Menschenrechte verdeutlicht außerdem, dass Muslime das Gefühl haben, sich ständig anpassen zu müssen, um nicht als „verdächtig“ wahrgenommen zu werden. Dies steht im direkten Widerspruch zum Grundgesetz, das die Religionsfreiheit garantiert und die freie Ausübung des Glaubens auch in der Öffentlichkeit ermöglicht.
Problematische Konsequenzen für die Integration
Anstatt den Dialog zwischen Muslimen und der Mehrheitsgesellschaft zu fördern, zementieren solche Maßnahmen ein Bild von Muslimen als „anders“. Ein weiteres Beispiel dafür ist die mangelnde Trennung zwischen Präventionsarbeit und Sicherheitsmaßnahmen. In einigen Bundesländern wie Schleswig-Holstein übernehmen zivilgesellschaftliche Akteure einen präventiven Ansatz, der auf Integration setzt, während in anderen Bundesländern wie Niedersachsen Sicherheitsbehörden die Prävention dominieren. Das führt dazu, dass Präventionsmaßnahmen oft eher als Überwachung denn als wirkliche Prävention wahrgenommen werden. Muslime erleben dabei erneut, dass ihre Identität als bedrohlich wahrgenommen wird und dass ihre kulturellen Praktiken in Frage gestellt werden.
Dieser Ansatz verhindert nicht nur eine erfolgreiche Integration, sondern verstärkt auch das Gefühl der Ablehnung. Muslime in Deutschland empfinden oft, dass die Gesellschaft ihre Identität und Lebensweise nicht akzeptiert und dass sie sich anpassen müssen, um nicht als potenzielle Bedrohung betrachtet zu werden. Diese Art von Misstrauen unterminiert jedoch das Vertrauen, das eine starke Gesellschaft benötigt.
Ein staatlicher Kreislauf der Stigmatisierung
Diese stereotypisierenden Darstellungen islamischer Kultur und Religion sind nicht nur ineffektiv, sondern untergraben auch die Bemühungen um ein gemeinsames Zusammenleben. Das jüngste Beispiel des bayerischen Videos zeigt, wie sehr der Staat Muslime oft als Außenseiter behandelt, anstatt ihre religiösen Praktiken als Teil der normalen gesellschaftlichen Vielfalt zu betrachten. Besonders schädlich ist, dass solche Maßnahmen die Grenzen zwischen Prävention und Religionskontrolle verwischen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der islamischen Community, die Respekt und Verständnis fördert, wird so unmöglich gemacht.
Es ist bezeichnend, dass das Innenministerium Bayerns das Video zwar später offline nahm, jedoch nicht aufgrund seines problematischen Inhalts, sondern weil es angeblich „missverstanden“ wurde. Dieser Versuch, die Verantwortung auf die Rezipienten abzuschieben, zeigt, dass die Problematik staatlicher Islamdebatten nicht nur eine Frage der Inhalte, sondern auch eine Frage der fehlenden Verantwortungsübernahme und des fehlenden Verständnisses ist.
Eine echte Präventionsstrategie – eine Frage des Dialogs
Anstatt Vorurteile zu bestätigen, sollte Präventionsarbeit darauf abzielen, muslimische Gemeinschaften als wertvollen Bestandteil der deutschen Gesellschaft anzuerkennen. Eine inklusive Gesellschaft kann nur durch gegenseitigen Respekt und echte Zusammenarbeit geschaffen werden, und dies erfordert, dass muslimische Stimmen in der Planung und Durchführung von Präventionsmaßnahmen gehört werden. Diese Arbeit darf nicht durch Klischees oder Vorurteile geleitet werden, sondern die Mehrheitsgesellschaft muss den Islam als Teil des deutschen Kulturerbes akzeptiert und versteht.
Fazit: Ein notwendiger Wandel in der Präventionspolitik
Der Kreislauf der Stigmatisierung und Ausgrenzung muslimischer Gemeinschaften verdeutlicht die dringende Notwendigkeit eines Richtungswechsels. Ein auf Dialog basierender Ansatz, der muslimische Gemeinschaften als Partner und nicht als potenzielle Bedrohung betrachtet, ist entscheidend für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Nur durch eine Umgestaltung der Präventionspolitik hin zu einer respektvollen und inklusiven Strategie kann ein nachhaltiger Beitrag zur Sicherheit und zum sozialen Frieden geleistet werden. Muslime in Deutschland sollten als gleichwertige Bürger anerkannt und ihre religiösen Praktiken respektiert werden, ohne dass sie als „Anzeichen“ für Radikalisierung interpretiert werden.
Ein respektvoller und aufrichtiger Dialog, der nicht durch Angst und Misstrauen geprägt ist, sondern durch eine gemeinsame Basis des Verständnisses, wäre der einzige Weg zu einer stabilen Gesellschaft, in der alle Menschen, unabhängig von ihrem Glauben, in Frieden und Gleichberechtigung zusammenleben können