Ist das Völkerrecht in der Kriese? Der IStGH und die deutsche Reaktion
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat kürzlich einen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu ausgestellt. Diese Nachricht war für viele ein Paukenschlag – und doch sollte sie niemanden überraschen. Der IStGH hat den Nahostkonflikt seit Jahren im Blick, insbesondere seit Palästina 2015 dem Gericht beigetreten ist. Spätestens nach den schockierenden Ereignissen des Gazakrieges, der auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 folgte, war klar, dass der Gerichtshof aktiv werden würde.
Ein Jahr später sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: über 40.000 Tote, die Mehrzahl davon Frauen und Kinder, sowie mehr als 100.000 Verletzte. Die Verantwortung der Entscheidungsträger ist unbestreitbar. Der IStGH-Chefankläger Karim Khan hatte schon frühzeitig betont, dass das Gericht genau beobachtet, was in Gaza geschieht, und die Einhaltung des Völkerrechts sicherstellen will. Die Entscheidung für einen Haftbefehl ist eine logische Konsequenz dieser Haltung.
Deutschlands ambivalente Reaktion
Die deutsche Politik zeigt sich hingegen auffällig zurückhaltend. Zwar hat Deutschland maßgeblich zum Zustandekommen des IStGH beigetragen, doch die jüngsten Entwicklungen werfen die Frage auf, ob das Land seiner historischen Verantwortung gerecht wird. Aussagen wie die von Friedrich Merz, der den IStGH lediglich für „Despoten und autoritäre Staatsführer“ vorgesehen sieht, zeigen eine gefährliche Doppelmoral. Die Rechtsstaatlichkeit – das Fundament jeder Demokratie – darf nicht an Personen oder politischen Präferenzen gemessen werden.
Eine demokratische Wahl schützt niemanden vor der Strafverfolgung. Gerade die Genfer Konventionen, die aus den Schrecken des Zweiten Weltkriegs entstanden, sollten Deutschland zu bedingungsloser Solidarität mit dem Völkerrecht verpflichten – nicht mit einzelnen Staaten oder Institutionen.
Symbolik und Konsequenzen
Die zögerliche Haltung der Bundesregierung hat weitreichende symbolische Konsequenzen. Sie schwächt das Vertrauen in die Unabhängigkeit des Völkerrechts und untergräbt die Glaubwürdigkeit Deutschlands in internationalen Angelegenheiten. Es ist ein gefährliches Signal, wenn politische Erwägungen Vorrang vor der Gerechtigkeit haben.
Deutschland hat in den letzten 70 Jahren mühsam Vertrauen in seine historische Verantwortung aufgebaut. Es wäre fatal, dieses Vertrauen durch politische Kurzsichtigkeit aufs Spiel zu setzen. Bedingungslose Solidarität sollte allein dem Recht und der Gerechtigkeit gelten.
Fazit
Der Haftbefehl gegen Netanjahu ist nicht nur ein Meilenstein für den IStGH, sondern auch ein Test für die internationale Gemeinschaft. Deutschland steht vor der Herausforderung, seiner Rolle als Verteidiger des Völkerrechts gerecht zu werden. Die Frage bleibt: Wird die Bundesregierung den Mut aufbringen, das Völkerrecht über politische Befindlichkeiten zu stellen?