Importierter Antisemitismus? Ein historischer Irrtum

Historische Realität oder politisches Narrativ: Muslime und Antisemitismus

In den letzten Jahren ist eine Debatte in der deutschen und europäischen Politik entbrannt, in der immer wieder behauptet wird, dass mit Muslimen auch Antisemitismus „importieren“ werden würden. Diese Rhetorik hat sich in den Medien und in der Politik zunehmend etabliert und dient als Grundlage für den Vorwurf, dass Antisemitismus ein tief verwurzeltes Problem im Islam sei. Doch wie so oft ist diese Behauptung eine Verkürzung der historischen Realität, die den tatsächlichen historischen Hintergrund ignoriert.

Eine der zentralen Überlieferungen aus dem Leben des Propheten Muhammad (ﷺ), die in diesem Zusammenhang häufig zitiert wird, ist die Geschichte eines jüdischen Leichenzugs, bei dem der Prophet aufstand, um seinen Respekt zu zeigen. Als die Umstehenden ihn fragten, warum er für einen Juden aufsteht, antwortete der Prophet: „Ist es nicht ein Mensch?“ Diese einfache, aber tiefgreifende Aussage verdeutlicht, dass der Islam Menschen unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit Respekt und Anstand entgegenbringt.

Historische Wurzeln des Antisemitismus: Europa, nicht der Islam

Die Vorstellung, dass Antisemitismus im Islam verankert sei, ist jedoch eine verzerrte Sichtweise, die historische Fakten außer Acht lässt. Tatsächlich genossen Juden unter islamischer Herrschaft oft Freiheiten, die sie in christlich geprägten Gesellschaften nicht hatten. Insbesondere in Andalusien, dem maurischen Spanien, blühten jüdische Gemeinden auf und erlebten eine Phase kultureller und intellektueller Renaissance. Juden waren oft hoch angesehene Berater und Gelehrte in muslimischen Reichen. Sie genossen Freiheiten, die ihnen unter christlichen Herrschern verwehrt waren.

Eines der deutlichsten Beispiele für diese Kooperation zwischen Muslimen und Juden ist das Jahr 1492. Als die katholischen Monarchen Ferdinand und Isabella Spanien zurückeroberten und das Alhambra-Edikt erließen, das zur Vertreibung oder Zwangskonversion von Juden führte, fanden viele Juden im Osmanischen Reich Zuflucht. Die osmanischen Sultanen schickten Schiffe, um die Vertriebenen zu retten und ihnen ein neues Zuhause in den muslimischen Provinzen zu bieten. Diese historische Rettungsaktion wird heute in jüdischen Geschichtsbüchern als ein bedeutender Moment jüdisch-muslimischer Solidarität gewürdigt.

Ein Artikel in der „Jewish Chronicle“, einer der ältesten jüdischen Zeitungen, veröffentlichte 2012 einen Artikel mit dem Titel „What did the Muslims do for the Jews?“. Darin wird ausführlich beschrieben, wie die muslimische Präsenz das Leben der Juden im Laufe der Geschichte verbessert hat – in kultureller, finanzieller und sozialer Hinsicht. Tatsächlich war es oft so, dass die Blütezeiten der arabisch-muslimischen Kultur auch die jüdische Kultur zum Aufblühen brachten. Es wird deutlich, dass Antisemitismus historisch gesehen ein Problem christlich-europäischer Gesellschaften war und nicht der muslimischen Welt.

Der heutige Diskurs über Antisemitismus und Muslime

In der modernen Zeit hat der israelisch-palästinensische Konflikt jedoch zu einer Verschärfung der Beziehungen zwischen Muslimen und Juden geführt. Doch dieser Konflikt ist in erster Linie politisch und nicht religiös. Die Spannungen zwischen beiden Gruppen sind das Ergebnis territorialer und politischer Auseinandersetzungen und nicht tief verwurzelter religiöser Feindschaften. Das wird oft von politischen Akteuren ignoriert, die Muslime kollektiv als antisemitisch darstellen wollen, um politisches Kapital daraus zu schlagen.

Einige Politiker, insbesondere in der deutschen Politik, haben dieses Narrativ übernommen und sprechen von einem „importierten Antisemitismus“. Diese Vorstellung, dass Muslime Antisemitismus nach Europa „mitgebracht“ hätten, verzerrt die Realität und vernachlässigt die Geschichte der europäischen Verantwortung für den Antisemitismus. Tatsächlich haben christlich-europäische Gesellschaften über Jahrhunderte hinweg Juden systematisch verfolgt, sei es während der Kreuzzüge, der spanischen Inquisition oder des Holocausts. Muslime hingegen haben in vielen Teilen der Welt friedlich mit Juden zusammengelebt.

Diese Rhetorik dient lediglich dazu, Muslime weiter zu stigmatisieren und in der politischen Debatte zu isolieren. Es gibt keinerlei Beweise dafür, dass Antisemitismus im Islam verwurzelt ist, wie oft behauptet wird. Die Geschichte des Islam zeigt vielmehr das Gegenteil: ein respektvolles Zusammenleben mit jüdischen Gemeinschaften.

Fazit

Antisemitismus ist kein Phänomen, das historisch mit dem Islam in Verbindung steht. Vielmehr haben Muslime und Juden über Jahrhunderte hinweg friedlich zusammengelebt und sich gegenseitig unterstützt. Die Vorstellung, dass Muslime Antisemitismus „importiert“ hätten, ist eine politische Rhetorik, die auf Vorurteilen und Ignoranz basiert. Es ist daher an der Zeit, diese Missverständnisse aufzuklären und die historische Wahrheit über das Zusammenleben von Muslimen und Juden wieder in den Vordergrund zu rücken.