Recht und Unrecht: Die unausweichliche Wahrheit
Amnesty International hat im vergangenen Jahr einen umfangreichen Bericht veröffentlicht, der das System der Apartheid gegen die palästinensische Bevölkerung in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten scharf kritisiert. Die Untersuchung zeigt eine besorgniserregende Realität: Die massive Beschlagnahmung von palästinensischem Land, rechtswidrige Tötungen, Zwangsumsiedlungen und die Einschränkung der Bewegungsfreiheit sind nur einige der Verstöße, die gegen internationale Menschenrechtsstandards verstoßen. Amnesty bezeichnet dieses Vorgehen klar als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Man stelle sich vor, ein Einzelner würde dieselben Aussagen treffen. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis der Vorwurf des Antisemitismus laut wird – eine unfaire, aber bekannte Reaktion in solchen Debatten. Doch Amnesty International setzt sich nicht für eine politische Agenda ein, sondern für universelle Menschenrechte. Wer Unrecht anprangert, hat das Recht, Gehör zu finden, ohne dabei sofort diffamiert zu werden.
Der Kern der Problematik liegt in einer scheinheiligen Doppelmoral: Menschenrechte gelten immer, für jeden. Wer im Namen der Gerechtigkeit spricht, darf nicht aufgrund der Herkunft der Opfer oder Täter verurteilt werden. Recht bleibt Recht, Unrecht bleibt Unrecht – egal, wer es begeht oder wer es kritisiert. Gerechtigkeit ist ein absoluter Maßstab, an dem sich jeder messen lassen muss.
Ein besonders eindrückliches Beispiel, wie Vorwürfe der Antisemitismus-Keule eingesetzt werden, konnte man während der Fußball-Weltmeisterschaft 2022 beobachten. Die marokkanische Nationalmannschaft rückte mit ihrem erfolgreichen Turnierverlauf in den Fokus, und prompt suchte man nach einer Möglichkeit, die Spieler zu diffamieren. Eine einfache Solidaritätsbekundung mit Palästina reichte aus, um die Antisemitismus-Karte zu spielen. Dabei ist Marokko ein Land, in dem jüdische Gemeinschaften seit Jahrhunderten ihre Rechte ausüben – es gibt dort jüdische Richter, die seit über 800 Jahren Urteile nach jüdischem Recht fällen.
Das Problem liegt darin, dass Solidarität mit den Palästinensern oft als Angriff auf das Judentum interpretiert wird. Doch Solidarität mit einer unterdrückten Bevölkerung und das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen hat nichts mit Antisemitismus zu tun. Wer diese Themen vermischt, tut genau das, was er vorgibt zu bekämpfen: Er entmenschlicht Menschen, indem er ihnen das Recht auf Gerechtigkeit abspricht.
Gerechtigkeit ist nicht selektiv. Rechtswidrige Tötungen bleiben Unrecht, egal ob sie von einem Besatzerstaat oder einer Widerstandsbewegung begangen werden. Selbstverteidigung ist kein Freibrief für Gewalt gegen unschuldige Zivilisten.
In Deutschland ist es oft schwer, sich konsequent für Gerechtigkeit einzusetzen, ohne auf Widerstand zu stoßen. Das bedingungslose Eintreten für Menschenrechte ist in der deutschen Politik häufig mit erheblichen Hindernissen verbunden. Die Angst vor Missinterpretationen, politischen Angriffen oder öffentlicher Diffamierung führt oft dazu, dass universelle Prinzipien wie Gerechtigkeit und Menschenrechte vernachlässigt werden – selbst dann, wenn sie eigentlich im Kern der staatlichen Verantwortung liegen sollten.